29. September 2012
Überlegungen von Andy Scholz
»Wir glauben nicht länger an die Objektivität der Fotografie, wohl aber daran, dass Fotografien in spezifischer Weise unsere Wirklichkeit sind.« (1)
Dass es Fotoabzüge vom Negativfilm sind, und ich nach wie vor überwiegend analog arbeite, überrascht und irritiert oftmals Betrachter meiner Arbeiten. Für die großen Tableaus benutze ich eine Mittelformat-Kamera und einen Negativfilm. Diese negativen Abbildungen werden auf Farbfotopapier vergrößert. Ein althergebrachtes standardisiertes Verfahren und kein Geheimnis. Doch aus diesem Bekenntnis Schlüsse zu ziehen wäre voreilig: Ich bin kein Verfechter der analogen Fotografie oder gar ein Nostalgiker, noch bin ich ein Gegner der digitalen Technik. Ich bin Pragmatiker. Und nutze die Technik so, wie sie mir derzeit sinnvoll erscheint. Konkret: Skizzen entstehen mit der Digitalkamera, großformatige Arbeiten analog.
Warum aber beschäftigt es den Betrachter und den fototheoretischen Diskurs so sehr, ob ein Bild analog oder digital entstanden ist, oder ob digital zeitgenössisch ist oder ob das Analoge dem Zeitgeist entspricht? Und warum wird das digitale Bild als zweifelhaftes bezeichnet? (2)
Peter Bialobrzeski, der Fotografie studierte und Professor an der Kunsthochschule in Bremen ist, antwortete einmal auf die Frage, was denn das Geheimnis seiner Bilder sei und wie er Bilder mache, mit den Worten: Blende 8, 3 Minuten.
Noch mal: Warum treibt es uns so sehr um, ob Fotos digital oder analog entstanden sind. Ist es die Frage nach Authentizität – nach dem Authentischen? Das analoge Verfahren gilt oftmals als Hinweis auf etwas, das tatsächlich da gewesen ist – etwas, das tatsächlich so vor der Kamera da gewesen ist. Bei Roland Barthes heißt es: »Die Malerei kann wohl eine Realität fingieren, ohne sie gesehen zu haben. Der Diskurs fügt Zeichen aneinander, die gewiss Referenten haben, aber die Referenten können »Chimären« sein, und meist sind sie es auch. Anders als bei diesen Imitationen lässt sich in der PHOTOGRAPHIE nicht leugnen, daß die Sache dagewesen ist. Hier gibt es eine Verbindung aus zweierlei: aus Realität und Vergangenheit. Und da diese Einschränkung nur hier existiert, muß man sie als Wesen, den Sinngehalt (noema) der PHOTOGRAPHIE ansehen. (…) Der Name des Noemas der PHOTOGRAPHIE sei also: »Es-ist-so-gewesen« (…)« (3)
Die Frage nach Authentizität aber ist so alt ist wie die Fotografie selbst. Doch: Spielt es wirklich eine Rolle, ob Bilder digital oder analog entstanden sind? Macht es einen Unterschied? Vielleicht liefert der Titel des Symposiums bereits einen Hinweis auf die Frage »Ist digital zeitgenössisch«, lautet dieser doch: Echt?Jetzt!
Ist uns das digitale fremd? Haben wir den Verdacht etwas unechtes zu sehen, wenn wir digitale Fotos anschauen? Dabei surfen wir in den vergangenen fünfzehn Jahren doch vollkommen selbstverständlich im Internet. Lesen online Nachrichten und schauen uns die dazu gehörigen Bilder an, rufen unsere Mails ab und fotografieren unsere Familie mit der Handy-Kamera. Und, als wollten wir dann auch noch einen oben drauf setzen, verschicken wir sie anschließend freundschaftlich mit einem Link zu frei zugänglichen Netzwerkportalen.
Haben wir Angst, dass die Fotografien verändert wurden oder werden? Dass wir einer Manipulation Glauben schenken? Machen wir uns nichts vor: Fotografische Bilder wurden schon immer manipuliert, retuschiert und verfremdet. Das ist nichts neues und so alt wie das Medium selbst. Denn mit Fotos lassen sich, wie Lars Blunck es formuliert, »Wirklichkeiten nicht nur (…) »schildern« oder (…) »verfälschen« «, sondern auch »entwerfen«. (4) Bereits um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert war es Gang und Gebe, analoge Fotografien zu verändern. Die damals rasant aufkommenden Portrait-Foto-Ateliers in den Städten verdienten besonders gut und schnell Geld, wenn sie die abfotografierten Personen nicht nur ins rechte Licht setzten, sondern sie anschließend besonders vorteilhaft darstellten. Sie retuschierten mit Farbe und Pinsel. Hier und da glätteten sie die Haut und die Figur, ließen Unliebsames verschwinden und erfanden etwas dazu. Durch die digitale Verfügbarkeit sind heute die technischen Werkzeuge und Bildbearbeitungsprogramme sicher leicht und schnell zugänglich. Das gewährleistet aber noch lange nicht, dass man in der Lage ist, Bilder so zu verändern, dass man es nicht sieht. Und die, die das digitale Bild bevorzugen, tun sie es aus einem Fortschrittsglauben heraus? Liegt es daran, dass wir heutzutage nicht mehr analog fotografieren, weil sich so viele digitale Möglichkeiten bieten? So wie man zu Hause keinen Röhrenfernseher mehr stehen hat, weil es doch so schicke und moderne Flachbildfernseher gibt (und weil man Röhrenfernseher gar nicht mehr neu kaufen kann.). Oder geht es wie beim Fernsehbild um: höher, schneller, größer, schärfer?
Bernd Stiegler stellt in diesem Zusammenhang folgende Aspekte gegenüber: »Die Fotografie, (…) ist dasjenige Medium, das die fundamentale Ambivalenz der Gegenwart vielleicht am deutlichsten fasst: Auf der einen Seite haben die technischen Medien zu einer massiven bildlichen Aneignung der Wirklichkeit geführt, bei der man sich in immer neuen Formen sicher sein konnte, sie durch die physische Übertragung des Lichts eingefangen zu haben. [Auf der anderen Seite:] Die Fotografie der Gegenwart will den Mythos loswerden, unter dessen Bann sie bis heute steht: den Mythos des Realen. (…)« (5) Und wieder spielt es keine Rolle, welche Technik verwendet worden ist. Ich kann also weiter fotografieren mit meiner 35 Jahre alten japanischen Mittelformatkamera und meinem 90mm-Objektiv, so lange der Rollfilm hergestellt und verarbeitet wird. Eine Diskussion darüber zu führen, womit Bilder gemacht werden, halte ich für irreführend. Die Frage nach dem womit und mit welcher Technik führt nur dazu, dass die Inhalte und die Idee des Bildes aus dem Fokus geraten. Es geht nicht mehr darum, was tatsächlich auf dem Bild zu sehen ist. Dabei sollte eben nicht relevant sein, womit ein fotografisches Bild erzeugt wird, sondern welche Relevanz das Bild hat.
Die fotografische Abbildung zu etwas anderem werden lassen. Die Bildidee in den Mittelpunkt stellen, Ähnlichkeiten dafür finden und eine neue Bildwirklichkeit herausarbeiten. Das sind die Aspekte, die mich interessieren. Möglicherweise werde ich das analoge Verfahren irgendwann einstellen. Aktuell aber muss ich meine Arbeiten weder bearbeiten noch verändern und kann analog weiter machen, indem ich mir einen Standpunkt suche und auf das richtige Licht warte, um Gegenstände und Situationen modellhaft aus ihrem Kontext und ihrer Kulisse heraus zu lösen. Dabei verstärkt sich ihre eigene ikonische Kraft, und sie werden im und durch das Bild zu etwas anderem – zu etwas eigenem. Sie scheinen nicht mehr nur genau das abzubilden, was tatsächlich zu sehen ist, und was man sieht, sondern sie zeigen etwas, was man so noch nicht gesehen hat. »Das in der sprachanalytischen Philosophie viel zitierte Bild eines Einhorns ist also nicht unbedingt einem Einhorn ähnlich, sondern dem Vorstellungsbild, das wir von einem Einhorn haben.« (6)
Die Technik ist absolut drittrangig. Es kommt auf das Ergebnis an. Es sollte intensiver darum gehen, was auf einer Fotografie zu sehen ist, was der Autor in den Fokus nimmt und worum es ihm wirklich geht. Kunst hat zunächst einmal nichts mit Technik zu tun. Die Kraft der Kunst ist es, alle Möglichkeiten zu nutzen und davon zu profitieren – sich frei zu machen von einem technischen Korsett und analogen Grenzen. Nicht die fotografische Technik ist wichtig, sondern das was auf dem Foto zu sehen ist. Giso Westing bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: »Ein gutes Bild entsteht dann, wenn die Kunst die Welt gleichsam neu erschafft. (…) Wenn wir als Betrachter nicht mehr sehen, was dargestellt wird, sondern wie es vorgestellt wird, wenn sich das Bild aus seinem Zusammenhang löst (…)« (7) Und Jeff Wall, kanadischer Fotokünstler, den ich sehr schätze, formuliert es so: »Was ich an meinen Bildern mag, ist, dass es nur so aussieht, als seien sie real. […] Man spürt, dass das, was man sieht, nicht deckungsgleich ist mit der Wahrheit. Nicht vollkommen.« (8)
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Diesem Essay liegt der Vortrag von Andy Scholz »Ist digital zeitgenössisch?« zugrunde anlässlich des Symposiums für zeitgenössische Fotografie der Stadt Regensburg, initiiert von Martin Rosner, am 29. September 2012 im Kunst- und Gewerbeverein Regensburg.
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(1) Bernd Stiegler, »Fotografie im digitalen Zeitalter. Einführung«, in: Bernd Stiegler (Hg.) Texte zur Theorie der Fotografie, Stuttgart: Reclam 2010, Seite 343
(2) Vgl. Peter Lunenfeld, »Das Dubitative Bild«, in: Bernd Stiegler (Hg.) Texte zur Theorie der Fotografie, Stuttgart: Reclam 2010, S. 344ff
(3) Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, übers. v. Dietrich Leute, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989 (La Chambre claire. Note Sur la Photographie, Paris: Gallimard 1980), Seite 86
(4) Lars Blunck, »Fotografische Wirklichkeiten«, in: Lars Blunck (Hg.) Die fotografische Wirklichkeit. Inszenierung – Narration – Fiktion, Bielefeld: transcript Verlag 2010, Seite 18 (Lars Blunck, Jg. 1970, Professor für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin)
(5) Ebd., Stiegler, S. 342.
(6) Ebd., Blunck, Seite 14
(7) Giso Westing ist Kurator in Hannover bei der Gesellschaft für Kunstförderung in Niedersachsen e.V. und hielt am 3. März 2012 die Eröffnungsrede zu meiner Einzelausstellung in den Ausstellungsräumen der Gesellschaft, der so genannten »Galerie vom Zufall und vom Glück« in Hannover.
(8) Jeff Wall, In: Süddeutsche Zeitung 24./25.5.2003, Interview mit Holger Liebs (Jeff Wall, Jg. 1946, Kanadischer Kunsthistoriker und Fotokünstler)